Von Sonja Alphonso

Wie versprochen gibt es „Begegnungen“ mit den Autoren der Gemeinschaftslesung, die am 21. März die SuedLese 2017 eröffneten. Ich möchte mit der Vorstellung von Jan Christoph Nerger beginnen, denn er ist der Pionier in Sachen Publikation über unseren Verlag. Mit seinem frisch veröffentlichten Roman „Club der Sturmvögel“ trat er übrigens im letzten Jahr bei der SuedLese mit einer Einzellesung an.

Dieses Jahr beteiligte er sich an der Gemeinschaftslesung mit dem Beitrag „Schweigersens Treff“. Die Kurzgeschichte schildert auf amüsante Weise, wie zwei, die eigentlich gleich zu Beginn eines Speed-Datings nur Augen für den jeweils anderen haben, am Ende alles vermasseln. Im entscheidenden Moment, wo sie sich endlich gegenüber sitzen, entlädt sich die aufgestaute Spannung, indem sie hemmungslos verbal übereinander herfallen und sich Vorurteile an den Kopf werfen, die sich während des Wartens in ihren Köpfen angesammelt haben.

Die Geschichte kam gut beim Publikum an, zumal Christoph Nerger es verstand, die Situationskomik zu betonen. Ich hatte schon bei einer anderen Gelegenheit einmal das Vergnügen, einer humorvollen Darstellung mit dem Titel „Da geht noch was“ zu lauschen und schätze das Talent von Christoph, anschaulich tragikomische Zusammenhänge zu beschreiben.

Fragen an Christoph Nerger:

Du hast gerade deinen ersten Roman veröffentlicht. Was ist das für ein Gefühl?

Nach 20 Jahren Kampf ist es eine Erleichterung. Und die Erkenntnis, dass dies nichts mit einer klassischen Veröffentlichung zu tun hat, wie ich sie mir einmal erträumt habe. Noch ist da dieses Gefühl eines Aufwand-Ertrag-Verhältnisses, das nicht stimmt. Gleichzeitig sehe ich aber trotzdem die Entwicklung. Mühsam nährt sich das Eichhörnchen, doch es nährt sich. Und das eigene Buch in den Händen zu halten, ist natürlich unbeschreiblich.

Wie viele Wochen, Monate oder gar Jahre stecken nach deiner Erfahrung und Einschätzung in einem lesenswerten Werk?

Nach eigener Erfahrung Jahrzehnte. Das hat aber auch damit zu tun, dass ich sehr isoliert mit meinem Schreiben war. Deshalb entwickelte ich mich sehr langsam, gab zwischendurch auf, fing wieder an … Und traf schließlich auf einen Mentor, der mir in einem mehrjährigen Lektorat erst das nötige Werkzeug zum Schreiben vermittelte.

Von einem routinierten Autor ausgehend würde ich in der Regel ein bis drei Jahre für einen Roman veranschlagen.

Arbeitest du schon an einem neuen Roman?

Ja. Im Laufe der Jahre ist viel liegen geblieben und ich ersticke fast in Material, das weiter zu entwickeln würdig ist. Es gleicht einem Gefühl von Verstopfung.

Du nimmst häufig Bezug auf die örtliche Umgebung, nennst Straßen, Plätze und beschreibst Bauwerke. Bist du vom Fach?

Nein. Hier geht es einfach um Dinge, die mich interessieren. Und darum, einen Lokalkolorit zu schaffen, der ortsansässige wie ortsfremde Leser bei der Lektüre mitnehmen soll.

Was sind aus deiner Sicht die größten Hürden auf dem Weg zum Buchmarkt?

Herkömmliche Verlage geben unbekannten Autoren selten eine Chance. Natürlich erhalten sie eine Flut von Zusendungen, die sie kaum bewältigen können, aber andererseits scheinen sie mir vor allem selbst verunsichert, wie sie mit den neuen Entwicklungen auf dem Buchmarkt umgehen sollen. Sie wagen selten etwas Neues. Denn dabei ist leider schwer einzuschätzen, ob bzw. wie gut es sich verkauft… Die genreorientierte Entwicklung auf dem Buchmarkt festigt außerdem die Schubladen, aus denen ein Autor nicht ausbrechen darf. Da muss man äußerst biegsam sein, um Gewünschtes anzubieten.

Die Zeiten haben sich stark gewandelt. Früher haben Autoren geschrieben und mit Verlagen verhandelt und die Verleger kümmerten sich um den Rest. Heutzutage wird erwartet, dass ein Autor sich auch aktiv selbst vermarktet. Findest du das fortschrittlich oder eher problematisch?

Es hat Vor- und Nachteile. Die Professionalisierung lässt dadurch nach und der Autor hat natürlich viel mehr Arbeit neben dem Schreiben. Andererseits kann der Autor auch authentischer bleiben. Die vielen Selbstvermarktungsmöglichkeiten lassen auch „neue Bücher“ zu, die eben nicht so sehr einzelnen Genres verhaftet sind.

Wie gehst du selber mit der Herausforderung um?

Ich hatte lange Zeit nur das eine Ziel: Bei einem herkömmlichen Verlag unterzukommen. Dort gibt es ein professionelles Lektorat, das mir zeigt: Ich habe hier einen richtigen Roman geschrieben. Zum einen musste ich mir klar machen, wie schwer das zu verwirklichen ist. Zum anderen werden die Möglichkeiten der Selbstvermarktung immer besser. Darum sehe ich diese nun in erster Linie als Chance und bin sehr gespannt, wie weit ich damit komme.

Fühlst du dich von deinem Umfeld unterstützt und ermutigt? Oder siehst du dich als tapferen Einzelkämpfer?

Die längste Zeit war ich Einzelkämpfer. Seit der Teilnahme in einer Schreibgruppe und erst recht seit der Gründung eines Verlages mit Gleichgesinnten fühle ich mich hier endlich verstanden und unterstützt.

Was war dein größter Frust und welches dein schönstes Erfolgserlebnis?

Mein größter Frust war ein unterschriebener Vertrag, den der Verlag nicht umsetzte.

Mein größtes Erfolgserlebnis hatte ich bei einer Lesung aus meinem aktuellen Roman, damals noch unveröffentlicht. Es war eine Szene, in der zwei Menschen zueinander finden. Und vor mir saß ein Paar, das sich während ich las bei der Hand nahm. Da merkte ich, es kam an. Das ist mir wichtiger als die Veröffentlichung selbst, die in dieser Form ja noch kein Qualitätsnachweis ist.

Fällt es dir leicht, an einem Thema/ Projekt dranzubleiben oder musst du dich manchmal disziplinieren?

Im Prinzip fällt es mir leicht. Manchmal habe ich aber die Neigung, zwischen meinen vielen Projekten zu springen. Da ist es wichtig, mir der Prioritäten bewusst zu sein.

Gehörst du zu denen, die kaum einen Tag leben können, ohne zu schreiben?

Ich kann definitiv nicht leben, ohne zu schreiben. Jeden Tag muss es nicht sein, aber ein bisschen öfter wäre schon schön: der Alltag (Seufz!).

Verrätst du uns noch, seit wann du schon schreibst und welche Motivation du hast?

Meine erste Geschichte schrieb ich mit neun Jahren. Ich bediente mich noch keines Titels, wohl aber verschiedener Charaktere, die jungen Lesern und Kassettenhörern bereits bekannt waren: Tarzan, Karl, Klößchen und Gaby (TKKG). Irgendwie habe ich seitdem mit dem Schreiben nicht mehr aufgehört und mich dabei glücklicherweise auch ein wenig weiterentwickelt. Heute weiß ich, dass das Schreiben kein Hobby, sondern meine Berufung ist, wenn auch leider nicht mein Beruf. Aber ich arbeite dran. Mir geht es beim Schreiben darum, viele Menschen aus unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen anzusprechen und zu unterhalten. Meine Hauptthemen sind meine Generation, Natur, Utopie, Dystopie und Historisches. Meine Charaktere sind oft Einzelgänger, die schwer Fuß fassen oder gegen den Strom schwimmen. Mit mir hat das freilich üüüberhaupt nichts zu tun.

Christoph, vielen Dank für dieses Gespräch und deine Offenheit! Wir wünschen dir vor allem viel Erfolg mit deinem Buch, sowohl beim Verkauf als auch durch Leser, die dir positive Rückmeldung geben. In diesem Sinne möchte ich eine Textstelle zitieren, die sich mir in ihrer Anschaulichkeit gut eingeprägt hat:

Seine Eltern weichen Alex´ Blick aus. Er sitzt da wie ein Geächteter. Scham empfindet er nicht mehr. Das alte Sofa ist die bequeme Anklagebank, auf die er sich alle paar Monate setzt, das Wohnzimmer als Gerichtssaal zur Gewohnheit geworden. Und alle spielen ihre Rollen so routiniert, dass Erschütterungen ausbleiben.“