Begegnungen mit den Autoren, die sich an der Gemeinschaftslesung im „alles-wird-schön“ am 21. März beteiligten und damit die SuedLese 2017 eröffneten. Heute ist Maren Osten an der Reihe.

 Mir drängte sich zuallererst diese Frage auf:

Hat deine Geschichte „Der Diktator und der Tod“ etwas mit deinen chilenischen Wurzeln zu tun?

Nicht direkt, die Figur in der Kurzgeschichte steht vielmehr symbolisch dafür, wie relativ Macht sein kann. Die Idee, ausgerechnet einen Diktator zum Gegenstand eines Textes zu machen, hat tatsächlich mit meinen chilenischen Wurzeln zu tun.

Du schreibst überwiegend ernst, mehrdimensional und öfters mit einem surrealen Einschlag. Magst du uns etwas darüber erzählen, wie du zu deinen Themen kommst?

All diesen Motiven, die – wie du sie nennst – surreal erscheinen, liegt ein grundlegendes Gefühl zugrunde, welches die Stimmung und die Entwicklung des Textes beeinflusst. Dieses Gefühl ist etwas, was mich beschäftigt und an dem ich mich abarbeiten muss, um den Kopf wieder für neue Dinge frei zu bekommen. Dass Bilder und Sprache oftmals etwas unkonventionell verpackt werden, hängt wohl damit zusammen, dass ich dem Motiv gerne ein Deckmäntelchen verpasse. Eine Art Verschleierungstaktik sozusagen. Last but not least: Humorvolle Texte zu schreiben, finde ich weitaus schwieriger als ernste.

Du hast Germanistik studiert. Hast du einen bestimmten intellektuellen bzw. literarischen Anspruch oder schreibst du eher aus dem Bauch heraus?

Hm, na ja, ich habe mit Germanistik begonnen und mich dann auf Linguistik (Sprachwissenschaft) spezialisiert. Grund für den Fächerwechsel war, dass ich den Teil des Literaturstudiums, das zum Fach Germanistik gehört, ganz schrecklich fand. Viel zu verkopft ist man an die Texte herangegangen, und das hat mir während der Studienzeit das kreative Schreiben vermiest. Ansprüche stelle ich dennoch an Wortwahl und Ausdruck. Ein gelungenes Spiel mit der Sprache wertet für mich einen Text auf. Das Motiv, über das ich schreibe, kommt jedoch aus dem Bauch oder dem Herzen, je nachdem wie man es sehen will.

Was ist dir wichtiger: Inhalte oder der Sprachstil? Was macht für dich eine gute Geschichte aus?

Das eine kann nicht ohne das andere. Dieses Phänomen lässt sich auf alle Bereiche der Kunst anwenden, finde ich: Ein stilistisch anspruchsvoller Text mit vorhersehbarer Handlung ist genauso enttäuschend wie ein ausdrucksschwacher Text mit raffiniertem Plot. Das kann man auch auf Bilder, Skulpturen und sogar Tanz übertragen, Technik und Aussage sind gleichwichtig. Eine gute Geschichte lebt von beidem und sollte in sich stimmig sein. Vor allem aber sollte sie mir Rätsel aufgeben und Fragen stellen. Wenn mich eine Geschichte (auch ein Film) noch lange beschäftigt und z. B. zeitliche oder örtliche Brüche beinhaltet, leben Plot und Figuren noch lange in mir weiter.

Wie gehst du vor, wenn du ein komplexes Thema hast? Gehst du systematisch vor und baust dir zunächst ein geistiges Gerüst, das die Geschichte halten soll?

Zuerst schreibe ich die Szene nieder, die mich am meisten (emotional) beschäftigt, denn die drängt nach draußen. Dann kommen vielleicht noch ein, zwei weitere Szenen dazu, aber danach wird es Zeit, sich Gedanken über das Gerüst zu machen. Das muss nicht gleich bis ins kleinste Detail sein, aber ein roter Faden sollte erkennbar sein. Alles weitere ergibt sich dann beim Schreiben der folgenden Szenen. Und selbstverständlich wartet noch reichlich Arbeit auf einen, wenn der Text fertig ist, denn dann muss korrigiert, optimiert oder gar neu geschrieben werden. Vor dem großzügigen Streichen und neu Schreiben darf man keine Scheu haben.

Gibt es Bücher, die dich nachhaltig beeindruckt oder sogar deinen eigenen Schreibstil geprägt haben? Wenn ja, welche und warum?

Die Sprache und Struktur von Jeanette Winterson beeindruckt mich sehr, da denke ich vor allem an „Das Schwesteruniversum“ und „Der Leuchtturmwärter“. Perspektivwechsel und Zeitsprünge muss man da aber mögen. José Saramagos „Die Stadt der Blinden“ hat eine Wendung meines eigenen Schreibstils bewirkt. Er hat verdeutlicht, dass man mit wörtlicher Rede und Satzlänge spielen kann und nicht auf „“ zur Markierung der Dialoge festgelegt ist. Seine Schachtelsätze waren anfangs eine Herausforderung für mich, aber ich liebe sie jetzt! Abschließend beeindrucken mich Wortwahl und Plotaufbau von Thomas Wolfe (Die Party bei den Jacks) und die rein erzählende Art von Zsuzsa Bánk (Die hellen Tage), die überhaupt nicht langweilig wird. Das ist Kunst!

Du schreibst auch an Romanen. Welche deiner Geschichten würdest du lieber heute als morgen veröffentlichen?

Aktuell springe ich bei meinen Romanprojekten hin und her, das heißt, alle brennen etwa gleich stark. Sollte oder dürfte ich jedoch eines sofort veröffentlichen (und es wäre bereits fertig geschrieben), so wäre es wohl mein Chileroman, denn der ist mein ältestes Großprojekt. Einen (Arbeits-)Titel gibt es leider nicht…

Du hast eine kleine Tochter. Schreibst du auch Kindergeschichten?

Nein, wobei das durchaus reizvoll wäre und auch Ideen vorhanden sind. Aber aktuell arbeite ich an einer Reihe von Illustrationen für ein Kinderbuch, das aus der Feder von Klaus von Hollen stammt.

Hast du einen Lieblingsspruch, ein Lebensmotto oder ein Zitat, das du mit uns teilen magst?

Das größte Vergnügen im Leben besteht darin, das zu tun, von dem die Leute sagen, du könntest es nicht. (Walter Bagehot).

Liebe Maren, vielen Dank für dieses Gespräch. Ich wünsche dir weiterhin viel Inspiration und Disziplin, sodass wir hoffentlich schon bald ein Buch von dir in Händen halten und lesen können!